Das Werk
Das kulturelle Erbe erzählt uns unsere gemeinsame europäische Geschichte. Die Mitwirkung am Europäischen Kulturerbejahr 2018 soll das Bewusstsein für unser reiches geistig-kulturelles Erbe in Erfurt fördern und die Bereitschaft zu seiner Bewahrung wecken.Die älteste und einst größte Universität Deutschlands in Erfurt ist ein Kleinod des kulturellen Erbes der Erfurter Bürgerschaft, denn diese Universität war an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert ein Hort der geistigen Erneuerung in Europa. Sie erfuhr einen geistigen Aufschwung, weil eine machtvolle geistige Strömung, der Renaissance-Humanismus, sich über ganz Europas ausbreitete. In der Erfurter „Engelsburg“ versammelten sich im „Erfurter Humanistenkreis“ Humanisten wie Helius Eobanus Hessus und Ulrich von Hutten, beide 1488 geboren, deren 530. Geburtstag sich 2018 jährt. Hessus galt als der größte deutsche Dichter dieser Zeit und Hutten war der feinsinnige Spötter und Verfasser des zweiten Teils der 1515-1517 in ganz Europa bekannt gewordenen Spottschrift auf die scholastische Lehre, die „Epistolae obscurorum virorum“ („Dunkelmännerbriefe“). Aber auch Martin Luther ging in Erfurt an der Universität und im Augustinerkloster durch die Schule des Frühhumanismus. So weckte sein Wittenberger Thesenanschlag 1517 die Begeisterung der Erfurter Humanisten für diesen Vertreter einer humanistischen Theologie, denn Luther wollte die geistliche Erstarrung des Mittelalters beenden und galt ihnen als „Befreier“ von der römischen Papstkirche.
Diesem Aufbruch in die Neuzeit, die sowohl eine Ära weltverändernder Erfindungen und Entdeckungen als auch wortgewaltiger und streitbarer Männer war, wollen wir im Heute begegnen, denn wir leben in einer Welt voller herausfordernder Veränderungen in Wissenschaft, Technik und Wirtschaft. Indem wir das Ringen um ein auf Wissen und Vernunft begründetes Welt- und Menschenbild, um mehr sinn- und lebensbejahende Menschlichkeit, für eine freie Wissenschaft, um Meinungsfreiheit und eine Kultur intellektueller Redlichkeit der Vergangenheit begreifen, machen wir uns die Anforderungen der Gegenwart bewusst. Das mit den Mitteln der Kunst zu bewirken bedeutet, Geist und Herz der Rezipienten zu erreichen.
Mit einer musikalischen Uraufführung wollen wir den Verbindungen zwischen der Universität Erfurt, den Erfurter Humanisten und Martin Luther nachfolgen.
Loblied und Abgesang – Luther und die Humanisten
(Musik: Axel D. Wolf, Text: Klaus Heydenbluth, Jürgen Grysczok)
ist ein Werk, das die humanistischen und reformatorischen Denkansätze dieser Zeit erlebbar machen will.
In „Loblied und Abgesang – Luther und die Humanisten“ begegnen wir musikalisch Geist und Seele der Humanisten, ihrer frommen Hinwendung zu Menschlichkeit und irdischer Liebe und Luthers Ringen um einen gnädigen Gott ― einer Zeit der Gegensätze, tiefer Frömmigkeit und Auseinandersetzungen um den rechten Glauben.
Inhalt
Anregendes Moment für die textliche und musikalische Fassung war das Bild ‚Melancholia I‘ von Albrecht Dürer. Hierauf dargestellte Gegenstände stehen symbolisch für fünf ausgewählte Stationen im Leben Martin Luthers, die auch fünf Abschnitte des Werkes widerspiegeln sollen.
Sprecher: Zum Auftakt begegnen wir dem jungen Poeten Eobanus Hessus im Kreis der Erfurter Humanisten, die in das Leben und die Sprache verliebt sind und sich auf die Ur-Quellen des Glaubens berufen, dichtend und spottend Texte gegen Dummheit, Unbildung und Ausschweifungen der Mönche und Pfaffen produzieren und ― wie Martin Luther ― eine Reform des Erfurter Universitätsbetriebes und des Glaubens nach humanistischer Gesinnung erstreben.
Der Regenbogen steht für Schöpfung und Geburt eines neuen Menschen; symbolisch aber für jenes schicksalhafte Gewitter bei Stotternheim, nach dem sich der junge Martin Luther entscheidet, ein Mönch zu werden.
Die Waage deutet auf Luthers seelisches Ungleichgewicht, seine innere Zerrissenheit, die ihn Zeit seines Lebens nicht losgelassen hat. Bis zum Tod blieb für ihn die Frage offen, wie er Körper, Geist und Seele ins Gleichgewicht seines Versprechens von einem Leben ´frei von Sünde´ bringen kann, lebenslang blieb seine Suche nach einem gnädigen Gott.
Das Tintenfass symbolisiert das humanistische Streben nach direktem Zugang zu den Klassikern antiker christlicher und jüdischer Literatur in der Originalsprache, ihrer philologischen und textkritischen Beschäftigung mit der Bibel; aber auch Luthers große Leistung für die Entwicklung der deutschen Sprache. Unzählige Wortschöpfungen waren für ein bildliches Sprachverständnis der damaligen Zeit erforderlich und wichtig, um die Bibel zu übersetzten und um somit den Menschen den Glauben näher zu bringen. Das Tintenfass wurde zu Luthers bebendem Herz, die Schreibfeder zur Stimme Gottes.
Das Symbol des Stundenglases führt uns zu Luthers unermüdlichem Studium und seinem Wissensdurst. Es zeigt Stunde und Zeit, in der sich seine Hoffnung auf göttliche Liebe erfüllt.
Sprecher: Luthers Wittenberger Thesenanschlag verband die Erfurter Humanisten eng mit ihrem humanistischen Glaubensbruder Martin Luther. In ihm sahen sie den Heilsbringer der Freiheit von Rom. „Aus fünfundneunzig wird nun eins“ ― und macht den Glauben fest am Wort Gottes.
Denn Luthers Glaubensgrundlage allein waren die Gottesworte der Bibel. Durch Christus´ Menschwerdung habe Gott allen Menschen seine Liebe offenbart und wer sich an Gottes Wort in der Heiligen Schrift halte, werde erlöst. Luther verstand sich selbst und die Menschen als Sünder. Nur wer aus dem Glauben lebt, dem wird Gottes Gnade zuteil. Dem gilt alle unendliche Mühe des Lebens.
Sola gratia (allein durch Gnade), sola fides (allein durch den Glauben), sola scriptura (allein durch die [Heilige] Schrift), solus Christus (allein durch Christus).
Sprecher: Als ein begeisternder und machtvoller Prediger wird Luther von den Humanisten auf seiner Reise nach Worms 1521 in Erfurt empfangen und Deutschlands größter Dichter dieser Zeit, Eobanus Hessus, besingt Luther enthusiastisch als „Bringer des Heils“, „jenen von Gott … tiefinnerst erfüllt“ …als „reinen Gottesboten“.
… Gottes Worte sind Geist und Leben ― sind die Schlüssel im Schloß der Liebe … heißt es im letzten Bild und Luthers letzte Worte auf dem Sterbebett: “Wir sind Bettler, das ist wahr.“ … „du hast mich erlöset, Herr, du treuer Gott“ … ist seine letzte erlösende Erkenntnis von der Liebe Gottes.
Seit Renaissance-Humanismus und Reformation sind Kirche und Glaube in ständiger Bewegung. Toleranz und Respekt gegenüber anderen Religionen wurden zu Grundregeln wahrer Menschlichkeit und gehören ebenso zum Glauben wie die Anerkennung der menschlichen Gesellschaft als Gemeinschaft freier, mündiger brüderlich und schwesterlich verbundener Individuen. Die Humanisten und der Reformator Martin Luther haben den Grundstein dafür gelegt.
Unser Ziel ist erreicht, wenn die Zuhörer durch Reflektion über das gehörte Werk, über die Bedeutung einer humanistischen Gesinnung und die Reformation als Ereignis von Weltrang ins Gespräch kommen, wenn die humanitas“, die Menschlichkeit, als selbstverständlicher Ausdruck und besondere Qualität des menschlichen Wesens gilt.